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Kurzgeschichte: Wir brennen sie nieder

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Die folgende Kurzgeschichte habe ich im Zuge des Sturmtober Prompt Events des Sturm Verlags verfasst.

Content Note: Die Geschichte spielt in der Welt des ketzerjagenden Ketzerjägers und der besommersprossten Heilerin. Gewalt gegen Frauen ist in dieser Welt legitimiert, eine Flucht davor wird geahndet.

Die Figuren kommen im Roman nicht vor, allerdings spielt die Geschichte auf tatsächliche Ereignisse vor der Romanhandlung an.


Der Fleischeintopf war dick und würzig und wärmte seinen Bauch. Mit einem wohligen Seufzen steckte er das letzte Stück Brot in dem Mund, mit dem er seine Schüssel ausgewischt hatte und legte seine Unterarme träge auf die grobe Tischplatte vor sich.

Penolope saß ihm gegenüber, lehnte sich im hohen Lehnstuhl zurück. Seit Tagen leuchtete ihr Gesicht in einem überirdischen Glanz, wie er ihn noch nie gesehen hatte. Auch jetzt wieder, als sie sich über das winzige Bündel beugte, es wiegte und zufrieden vor sich hin summte. Knistern von der steinernen Feuerstelle schenkte dem Wiegenlied eine beruhigende Monotonie.

Zufrieden ließ er den Blick durch den Raum gleiten.

Sie besaßen nicht viel, aber alles, was sie brauchten.

Es waren die glücklichsten vier Jahre seines Lebens.

Odysseus rieb sich müde über die Augen. Weder Müdigkeit noch die Wärme des Eintopfs hatte die Unruhe in seinen Gedärmen vertreiben können.

Seufzend stand er auf.

„Patrouille?“ Penelope sah auf. Ihre Augen leuchteten hinter den honigfarbenen Iriden. „Ist nicht Ephestis heute dran?“ Kein Groll, nur Neugier. Und vielleicht ein bisschen Sorge. Die dunklen Ringe unter Odysseus Augen erinnerten sie daran, dass er in den letzten Nächten kaum geschlafen hatte.

Langsam beugte er sich herunter, erhaschte einen Blick auf dunkelrosa Ärmchen, deren winzige Hände sich im wohlverdienten Schlaf zu Fäusten ballten und wieder öffneten.

Wieder durchströmte eine Flutwelle schwindelerregender Wärme seine Brust.

Es war diese Wärme, die ihn in den vergangenen Nächten auf die Palisaden getrieben hatte.

Er schmunzelte. „Sie ist schon jetzt eine Kämpferin.“

Penelope schnaubte und schüttelte breit grinsend den Kopf. Dann wurde sie ernst. „Ich hoffe, dass sie nie kämpfen muss. Oder fliehen.“

Zärtlich umschloss sie die kleine Hand des Säuglings mit ihrer Rechten, an der der kleine Finger fehlte. Ein stummes Gebet an die Heilige, sie möge ihre Tochter beschützen. Die goldenen Linien fingen den schwachen Schein des Feuers ein und glitzerten mahnend.

Unbewusst ballte Odysseus die nackte Linke zur Faust. Dann drückte er seiner Gefährtin einen festen Kuss auf den Scheitel und verließ die kleine Hütte. Nie wieder würde er zulassen, dass ihr Dual sich so erbarmungslos an ihr austobte. Lieber sollte sie ihr Leben geistlos in der Verbannung fristen, wenn sie ihrer habhaft wurden.

Odysseus schüttelte den Kopf und fuhr sich durch das kurze, blonde Haar.

Er hätte ihn niederstrecken sollen, vor ihrer Flucht. Leider hatten sie keine Zeit für seine niederen Rachegelüste gehabt.

Die hölzernen Scharniere quietschten, als er die niedrige Tür vor den Eingang schob. Er richtete sich auf, sog die kühle Nachtluft ein und stemmte die Hände in die Hüften. Gedämpft drangen Stimmen durch die naheliegenden Hütten, die ähnlich grob gezimmert waren, wie seine eigene.

Kinderlachen. Und von irgendwo die erstickten Laute eines Paares.

Achtundsiebzig Seelen.

Achtundsiebzig Seelen hatten sich ihm angeschlossen.

Hatten Munkeln hören, dass es sicher war, hier im Vilsenbroecker Gebirge. Tief im Wald, wo weder Handelsleute noch Wallfahrende je zufällig vorbei kämen.

Kein Pfad führte hierher. Erst recht keine Straße.

Nur zwei Mal im Jahr brach eine kleine Gruppe auf, um in einem der kleinen Dörfer Handel zu treiben und das, was sie nicht selbst herstellen konnten, einzutauschen. Saatgut zum Beispiel. Oder den Rahmen für den Webstuhl  im Gemeinschaftshaus.

Er schickte nie zweimal dieselben Personen.

Sie gingen nie zweimal in dasselbe Dorf.

Die hohen Palisaden rings um ihre verborgene Siedlung schirmten Feuerschein und Rauchschwaden notdürftig ab.

Niemand, der nicht gezielt suchte, würde sie je finden.

Und selbst die, die sie suchten, hatten in den letzten Jahren keinen Erfolg gehabt.

Warum meldete sich dann ausgerechnet jetzt schon wieder sein Gedärm und trieb ihn an die Palisaden?

Ephestes drehte sich langsam zu ihm um und nickte ihm wissend zu. „Euklid hätte längst zurück sein müssen.“

„Ja.“

Angestrengt lauschte Odysseus auf die Geräusche jenseits des Holzwalls. Wind raschelte in den Baumkronen. Dünne zweige knackten irgendwo im Gestrüpp.

Die feinen, hellen Härchen in seinem Nacken stellten sich auf.

Zu schwer für ein Wiesel.

Eulen waren lautlos, aber sie hätten den kurzen Aufschrei des Beutetiers gehört.

Der Mann neben ihm spannte sich an. Er hatte es auch gespürt.

Plötzlich gedämpfte Stimmen.

Nein! Heilige, bewahre uns vor der Geißel des Magistrats!

Einen Herzschlag lang schaute er in die schreckgeweiteten Augen seines Freundes, dann fasste er seine Schulter. „Los!“

Sie mussten weg.

Sofort.

Vom Ketzerjäger hatten sie keine Gnade zu erwarten.

„Eine Wehranlage! Was sollen wir tun?“ zischte es durch die Nacht.

„Wir brennen sie nieder.“

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