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Was ist das Genre Female Rage?

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Das Genre Female Rage (aka „Female Rage Fiction“) ist in der Buchwelt noch recht neu. Der Kanon ist noch nicht abschließend finalisiert, wobei sich Genres natürlich immer auch verändern. Das bedeutet für uns als Lesende und Autor:innen: Wir gestalten das Genre mit. Mit jedem Buch, das wir schreiben. Und mit jedem Buch, das wir lesen.

Kurze Exkursion in die Genre Theorie: Was braucht ein Genre überhaupt?

Schon seit der Antike befassen sich Schreibende und Lesende mit der Frage: In welche Kategorie lässt sich dieser oder jener Text einordnen? Während die bis unlängst gängige Genretheorie eher statisch und textzentriert war, von westlichen weißen Männern (Oh Wunder!) erarbeitet und tradiert wurde und neuere Genres wie Female Rage, Dark Romance oder Slice of Life nicht mitgedacht wurden, richte ich mich in meiner Genredefinition an der modernen Interpretation aus.

Genres sind nämlich ganz und gar nicht statisch! Sie leben geradezu, verändern sich auch im Kontext vom Zeitgeschehen und nicht selten balancieren Schreibende auf einer schmalen Grenze, fügen einem Genre mit ihren Geschichten neue Aspekte hinzu, dehnen es aus und hinterlassen dort ihren unnachahmlichen Fingerabdruck. (8)
Für den Buchhandel und Verlage ist ein Genre vor allem eines: Eine Marketingkategorie, über die sich Zielgruppen definieren, Erwartungshaltungen abklopfen und Geschichten klar inhaltlich positionieren lassen.

Lesende wissen in einer Art unausgesprochenem Vertrag, was sie von einer Geschichte zu erwarten haben, wenn sie sich in einem bestimmten Genre umsehen. Schreibende wissen wiederum, was Lesende von ihnen erwarten. Jemand, der gern in die düsteren Tiefen von Dark Romance oder Horror abtaucht, wird mit einer fröhlich leichten Regency Romance wenig anfangen können. Oder wollen. Female Rage Fantasy erzählt wiederum ganz andere Geschichten als eine College Romance, u.s.w., wobei Genremixes natürlich möglich und manchmal sogar gewünscht sind.

Ich schreibe zum Beispiel Female Rage Fantasy und bewege mich damit immer innerhalb eines gewissen Rahmens.

Was typisch für das Genre Female Rage ist:

Im Genre Female Rage ist die Wut von Frauen mehr als ein kurzer, emotionaler Ausbruch, der im luftleeren Raum verpufft (was ich damit meine, liest du hier). Sie ist die natürliche Reaktion auf systematische Ungerechtigkeit – im großen Systm „Patriarchat“ genauso, wie im kleinen System „Partnerschaft“ oder „Familie“.

Die Protagonistinnen sind komplexe, ambivalente, moralisch graue Figuren, deren Charakterentwicklung oft eine traumatische Backstory zugrunde liegt – was bitte nicht mit Traumaporn zu verwechseln ist. Trauma durch Gewalterfahrung ist die logische Konsequenz im Charakterdesign, wenn unsere Figuren sich in einem System bewegen, in dem strukturelle Ungerechtigkeit und Gewalt vorherrschen.
Falls dir das ein bisschen übertrieben vorkommt, hier ein paar Zahlen: Eine von drei Frauen erlebt in ihrem Leben Gewalt. Weniger als alle vier Minuten erlebt eine Frau Gewalt. Fast jeden Tag erlebt eine Frau beinahe tödliche oder tödliche Gewalt (durch ihren Partner oder Ex-Partner). Weniger als 1% der Vergewaltigenden werden verurteilt.

Wir leben längst in einem System, das Gewalt gegen Frauen toleriert. Und manchmal vielleicht sogar ein bisschen befürwortet („Was hattest du an?“). (9)

Du bist von Gewalt betroffen und weißt nicht, an wen du dich wenden sollst? Die Nummer des Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen lautet 116 016.

Ein zentrales Element der Female Rage Belletristik ist die Female Agency Journey. Die weibliche Wut in Female Rage Geschichten ist nämlich auch mehr als nur eine Emotion. Sie ist ein Antreiber, ein Motor, Anstoß für Veränderung im Innen wie Außen der Protagonistin.
Da ist nicht einfach nur eine weibliche Hauptfigur, die wütend die Fäuste ballt und auf den Tisch haut. Die Protagonistinnen durchlaufen eine Veränderung, die sie aufbegehren lässt. Vielleicht erst still und in Gedanken, bis sie (die Protagonistin) irgendwann bereit ist, Raum einzunehmen und ihren Platz in der Gesellschaft zu reclaimen oder vielleicht sogar neu zu gestalten.
Female Rage hat Konsequenzen, und auch die Umwelt der wütenden Protagonistinnen bleibt davon nicht unberührt. Female Rage verpufft nicht. Sie hat Handeln zur Folge und ist dadurch immer ernst zu nehmen. Vielleicht ist das der grundlegendste Unterschied zur wütenden Frau im realen Leben: Im Gegensatz zu unseren Romanheldinnen wird deren Wut infantilisiert, nicht ernst genommen, pathologisiert oder als Zickerei, PMS oder Hysterie abgetan (mehr dazu liest du hier).

Female Rage Romane bieten uns einen sicheren Rage Space, in dem Frauen ihre Rachefantasien durch die Protagonistin ausleben können – besonders für Betroffene von Gewalterfahrungen kann das eine zutiefst befriedigende Form des Eskapismus sein.

Female Rage Fiction muss keine blutüberströmte Gewaltorgie sein.
Muss nicht, aber kann.
Weibliche Wut kann sich aber ebenso als stiller Widerstand äußern, indem die wütende Frau einfach aufsteht und ihren Partner oder die Familie verlässt.

Und natürlich ist Female Rage Belletristik immer auch eine Form der Gesellschaftskritik.

Beziehungsdynamiken in Female Rage Romanen: Darfs ein bisschen Spice sein?

Wenn du glaubst, Female Rage Romane sind nichts für die, weil eine gute Geschichte unbedingt eine Romance und gottlosen Spice (oder Smut) braucht, kann ich dich beruhigen: Female Rage schließt weder spicy noch smutty Romance aus.
Natürlich wird ein Großteil der Beziehungen in Female Rage Romanen von strukturell bedingten Machtgefällen geprägt – eben diese Machtgefälle mit all den damit verbundenen Ungerechtigkeiten sind es ja, gegen die sich die wütenden Protagonistinnen auflehnen.
Trotzdem ist – zumindest in meinen Geschichten – immer auch Platz für hotte Book-Boyfriends. Nicht die typischen Shadow-Daddys, die der Damsel in Distress den  Rachefeldzug abnehmen.
Ich schreibe eher die Art caring Love Interest und emanzipierten Male Leads, denen es reicht, wenn sie ihrer Angebeteten das Streichholz reichen, damit sie die Welt selbst abfackeln kann.
Und vielleicht geht er dann sogar vor ihr auf die Knie, in Anbetung und Ehrfurcht vor der Macht, die sie in sich trägt.
(Tipps, wie du emanzipierte Book-Boyfriends schreibst, findest du hier).
 

Das Genre Female Rage ist kein Traumaporn, aber…

Female Rage ist kein Traumaporn.
Trotzdem ist Trauma, wie weiter oben beschrieben, die logische Konsequenz für ein glaubwürdiges Charakterdesign. Menschen sind bequem. So sehr, dass wir Veränderung erst dann zulassen oder herbeiführen, wenn es ansonsten richtig fies und schmerzhaft wird (psychologisch stark vereinfacht).
Das bedeutet auch, dass Personen, die nie eigene Gewalterfahrungen gemacht haben oder nie Gewalt bezeugen mussten, auch keine Veränderungen initiieren – weder in sich selbst, noch im Außen.
Weil es nicht notwendig ist.
In meinen Female Rage Romanen ist Trauma kein Plotdevice, sondern eine Grundstruktur. Trauma formt meine Figuren, lenkt sie, lässt sie aufeinanderprallen – ein bisschen wie im echten Leben.
Trauma ist nicht dekorativ oder dient dem Voyeurismus. Es ist Architektonisch: Die Welt, die Machtverhältnisse, die Magiesysteme, Beziehungen – alles ist durchzogen von Spuren der Verletzung, der Unterdrückung und der Erinnerung daran.

Wie es mit Trauma eben so ist.

Das Genre Female Rage und die Darstellung von Gewalt

Female Rage Romane müssen nicht durchzogen sein von gewaltsamen Auseinandersetzungen, blutigen Konflikten, brutalen Kämpfen und Gewaltexzessen an jeder Ecke – aber sie können.
Deshalb ist es immer wichtig, dass du die Triggerwarnungen aufmerksam liest und bestenfalls bitte auch ernst nimmst.
Ich habe entschieden, in meinen Female Rage Geschichten Gewalt explizit zu zeigen.
Weil ich es leid bin, dass Gewalt in fiktiven Geschichten romantisiert wird (nein, das war kein Sideeye in eure Richtung, liebe Dark Romance Gilies 🙂 ).
Weil ich es leid bin, dass Gewalt gegen Frauen – in fiktiven Geschichten ebenso wie in der Realität – bagatellisiert, banalisiert und verhamlost wird.
Gewalt ist nicht romantisch. Auch nicht als Eskapismus. Sie hinterlässt Spuren. Sie wirkt nach. Ist buchstäblich lebensverändernd – selbst dann (oder vor allem dann?), wenn sie gesellschaftlich akzeptiert und normalisiert ist.

Damit meine ich nicht konsensuale Gewalt aus dem BDSM-Bereich. Ich meine Gewalt, die einem gegen den eigenen Willen angetan wird und einen hilflos, machtlos und zerbrochen zurücklässt.
Für diejenigen mit Gewalterfahrung bedeutet das: Ich sehe dich. Du bist nicht allein. Wir sind viele. Und ja, meine Protagonistin macht das schon.
Für diejenigen ohne Gewalterfahrung bedeutet das: Hier, bitteschön. Sieh nicht weg. Und mach dir bewusst, dass das immer noch nicht annähernd darstellen kann, wie es für Betroffene wirklich ist.
Ob und wie andere Autor:innen Gewalt in Female Rage Büchern darstellen, zeigt sich in Zukunft. Female Rage ist nämlich ein aufstrebendes Genre, das sich immer größerer Beliebtheit erfreut.

Mögliche Settings im Genre Female Rage

Ich schreib’s gern nochmal, weil’s so schön ist: Das Genre ist noch ganz neu. Es ist gerade im Entstehen und wir gestalten es mit. Für die Settings gilt: Alles ist möglich. Unserer Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Das Setting kommt quasi im Doppelpack mit einem Genremix. Es gibt nämlich nicht DAS Female Rage Setting. Und manche Settings bieten sich vielleicht mehr an als andere.

Die nachfolgende Liste soll dir beispielhaft als Inspiration dienen und ist bei weitem nicht vollständig.

Indem du ein fantasievolles, fiktiveres Setting wählst, bleibst du hypothetisch und gesellschaftskritisch, wenn du bestehende Problematiken aufzeigst. Du entscheidest, wie düster die Welt wird, in der deine Geschichte spielt

  • Fantasy
  • High Fantasy
  • Urban Fantasy
  • Dark Fantasy
  • Gothic Fiction
  • Cyberpunk
  • Historische Settings
  • Alternative History
  • Retellings
  • Science Fiction
  • Dystopie / Postapokalypse
  • Dark Academia
  • Religion / Kultische Systeme

Viele Autorinnen, die im Genre Female Rage schreiben, tun das aus eigener Erfahrung heraus. Für sie ist Gewalt leider keine abstrakte Kategorie. Wenn du jedoch aus einer anderen Position heraus schreibst – also ohne eigene Gewalterfahrung oder mit mehr Distanz – kann ein fiktives Setting helfen. Es schafft Raum, um strukturelle Themen kritisch zu beleuchten, ohne reale Gewaltverhältnisse eins zu eins abzubilden oder unbeabsichtigt zu vereinfachen.

Mögliche Tropes im Genre Female Rage

Wie bei den Settings gibt es auch hinsichtlich der Tropes im Genre Female Rage grenzenlose Möglichkeiten. Wenn du sagst, „das ist der Trope“, dann ist das so.

Dabei können wir natürlich auf altbewährte (und heißgeliebte) Tropes wie Enemies to Lovers zurückgreifen, Found Family, One Bed, fated mates. Die Tropes können hot und spicy sein, empowernd, wholesome & healing, blutbefleckt wirken oder einfach nur magisch und kraftvoll sein.

Einige Beispiele sind: Touch her and you die – because she’ll kill you, revenging all the women, fear her rage, kneel before her darkness, Regretting Manhood, I’m your biggest threat, Invincible Sisterhood.

Mehr zu den Tropes im Genre Female Rage findest du hier.

Microtropes im Genre Female Rage

In der Buchbubble auf TikTok und Instagram werden Microtropes gerade voll gehyped.

Aber was sind Microtropes überhaupt?
Während Tropes wiederkehrende Motive, Themen und Handlungsmuster sind, die den Genres entsprechend immer wieder vorkommen können, sind Microtropes sozusagen die Momentaufnahmen davon.

Es sind einzelne Gesten und spezifische Handlungen oder Aktionen, die sich in den Tropes oder Genres wiederholen können.

Mein absoluter Favorit: Ihr Kinn zwischen seinem Daumen und Zeigefinger, und er zwingt sie, ihn anzuschauen. Oder auch gut: Sie stürzt in ihrer liebenswerten Tollpatschigkeit, und er fängt sie auf.

Mögliche Microtropes im Genre Female Rage können sein:

  • „I’m your biggest threat“ (sagt sie wörtlich zum Enemy, der später lover wird, zum Antagonisten oder einem random Brutalo, dem sie die Leviten liest)
  • Sie fällt, er fängt sie (ja, sie ist stark. Trotzdem darf er sich kümmern)
  • „Fuck it“ (und die Tension, bevor sie sich küssen oder fast küssen)
  • Sie küssen sich fast (und dann platzt irgendwer rein oder irgendwas passiert)
  • Sie drückt ihn auf die Knie, damit er sie befriedigt
  • Rage gone wild (ein kurzer, unkontrollierter Ausbruch ihrer manifesten Wut, der sie und die Menschen, die ihr nahe stehen, verletzt oder in Gefahr bringt)
  • Visible Rage (Ihre Wut blitzt als manifeste Macht auf, wird körperlich sichtbar durch gefärbte / verformte Körperteile, Nebel, Ranken um ihre Macht gegenüber Zweifelnden oder Tätern zu demonstrieren)
  • Fluchtimpuls (sie will fliehen, erinnert sich aber, dass sie keine Angst mehr haben muss und bleibt)
  • „Don’t you dare“ (geflüstert und mit schrecklichen Konsequenzen)
  • „You’re safe now“ (nachdem sie eine Leidensgenossin gerettet hat

Im Genre Female Rage schreiben

Das Genre Female Rage bietet uns als Autor:innen unendlich viele Möglichkeiten, uns kreativ auszutoben und Freiheit, weil wir das Genre mitgestalten.
Gleichzeitig bleiben wir immer close to home. Patriarchat? Kennen wir. Können wir. Wenn wir die unterdrückende Welt unserer Geschichte bauen, müssen wir nicht das Rad neu erfinden. Es genügt, wenn wir einen Blick in die Geschichte werfen – und auch da müssen wir uns nicht mal weit zurück bewegen. Allzu präsent sind die Fälle von Gisèle Pelicot oder Mia Moglie. Wir haben alle noch den vielversprechenden Medizinstudenten im Sinn, der trotz Vergewaltigungsgeständnis straffrei ausging, weil die Richter ihm seine Karriere nicht verbauen wollten. Und dass Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland erst seit 1998 Straftatbestand ist? Ich sag ja: Patriarchat können wir.

Alles, was wir jetzt noch brauchen, ist mehr. Mehr Bewusstsein, dass das Genre Female Rage schreibens- und lesenswert ist. Wir brauchen mehr Geschichten mit wütenden Protagonistinnen, deren Entwicklungen und Rachefeldzüge uns inspirieren, uns innerlich jubeln lassen und vielleicht sogar unseren eigenen Rachedurst (aka „Streben nach Gerechtigkeit“) befriedigen.

Schreibst du mit?

Verlage, die Female Rage als Genre im Verlagsprogramm führen:

Der Sturm Verlag

„In Genre Mix we trust“ ist eines der Leitmotive des Sturm Verlags. Die Geschichten im Verlag reißen dich mit wie ein Sturm und lassen dich so schnell nicht wieder los.

Hier geht’s zum Sturm Verlag.

Der Chapter Queens Verlag
„Niemand muss perfekt sein, um großes zu bewegen“ – lieben wir! Die Chapter Queens sind ein junger, dynamischer Verlag, deren Bücher berühren, herausfordern und empowern.

Hier geht’s zum Chapter Queens Verlag




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