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Female Rage: Die weibliche Macht, ein System zu verändern

  • Beitrags-Kategorie:Female Rage

Als ich angefangen habe, im Genre Female Rage zu schreiben, war der Begriff für mich gleichbedeutend mit „Wir haben das Recht, wütend zu sein!“ und „Warum sind wir noch nicht wütender?“ In meinen Büchern wollte ich aufzeigen, wie grausam und ungerecht die Welt ist, in der Frauen sich bewegen. Und wie sehr sie sich von der Welt der Männer unterscheidet.

Wir fühlen Female Rage immer dann, wenn wir an die Grenzen unserer Welt stoßen.

Einer Welt, die künstlich klein gehalten wird, damit wir nicht mehr Raum einnehmen, als Männer uns zugestehen wollen.

Übersetzen würde man Female Rage am ehesten mit „weibliche Wut“ – aber das wird dem Begriff und dem, wofür er steht, nicht ganz gerecht. Weibliche Wut als valide Emotion wird in unserer Gesellschaft nicht ernst genommen, weshalb sie in der Regel ohne Konsequenzen bleibt. Dadurch wird sie banalisiert, bagatellisiert, verharmlost und außerdem noch viel zu oft pathologisiert. Wütende Frauen – auch, wenn sie zu Recht wütend sind – reagieren in der gesellschaftlichen  Wahrnehmung (selbst in unserer eigenen) oft unangemessen, überzogen, kindisch. Sie stören. Sie sind zu laut, wo sie eigentlich leise sein müssten und das nervt.

Dass wütende Frauen nerven, oder genauer gesagt die Wut dieser wütenden Frauen, ist psychologisch erklärbar: Ihre Wut wird nicht ernst genommen. Sie verpufft. Bleibt ohne Konsequenzen. Und weil Wut als Emotion dazu dient, dass eine Veränderung angestoßen wird, wird das Ausbleiben einer Veränderung als „störend“ oder „nervig“ wahrgenommen. Deshalb ist es in unseren Female Rage Geschichten so wichtig, unsere Protagonistinnen handlungsmächtig zu schreiben. Ihre Wut sollte unbedingt Veränderungen anstoßen, im Innen wie Außen.

Aber warum werden wir nicht noch wütender? Warum geben wir uns damit zufrieden?

Warum wir Frauen uns unsere Wut absprechen lassen:

Ich habe in meinem Leben mehr als eine toxische Beziehung geführt. Und du sicher auch. Was rückblickend einfach nur absurd ist: Sobald ich irgendwann versucht habe, meinen Standpunkt klar zu machen oder wütend wurde, weil ständig meine Grenzen überschritten wurden, wurde ich so lange gegaslightet, bis ich mich am Ende für meinen „total überzogenen Wutausbruch“ entschuldigt habe. Selbst dann, wenn ich im Recht war.

Die Antwort, auf die Frage, warum wir uns unsere Wut absprechen lassen in einem Wort: Konditionierung. Oder auch: Sozialisation. Pädogische Untersuchungen haben gezeigt, dass Mädchen im Kindesalter kaum bis keine Konfliktkompetenz beigebracht wird. (11) Und vermutlich könnten wir alle mit ausreichend anekdotischer Evidenz aufwarten, die das unterfüttert. Sätze wie „Mädchen machen sowas nicht“, „sei brav“, „sei lieb“, „sei still“, „sei nicht so laut“ haben uns von Kleinauf begleitet. Und das Schlimmste an diesen Sätzen ist, dass kleine Mädchen sie selbst heute noch zu hören bekommen. Wir haben nie gelernt, für uns einzustehen. Stattdessen haben wir gelernt – weil es uns aufgezwungen wurde – dass Mütterlichkeit für uns die höchste Tugend ist. Die Attribute, die damit einhergehen, werden als besonders wünschenswert weibliche Eigenschaften von uns erwartet: Wir müssen immer zur Verfügung stehen, für alles Verständnis haben, wir müssen für andere sorgen (Stichwort Selbstaufopferung als weibliche Tugend) bevor wir uns um uns selbst kümmern und natürlich auch eine angenehme Atmosphäre schaffen (12). Wie tief das alles in uns drin steckt, zeigen Studien zu Sprachmodellen, in denen man natürliche Dialoge zwischen Männern und Frauen untersucht hat: Unbewusst und unterbewusst bewegen wir uns ständig um die Männer herum, sorgen dafür, dass das Gespräch nicht versiegt, machen unsere Position nie zu eloquent klar und sorgen – leider kein Scherz – für eine angenehme Atmosphäre. (13 / 14)

Verargumentiert wird dieses (erzwungen) erlernte Verhalten dann gern vermeintlich wissenschaftlich mit Genetik, Evolutionsbiologie (15) oder neuerdings auch ebenso gern pseudowissenschaftlich, indem man(n) von weiblicher und männlicher Energie schwafelt.

Eine Missachtung dieser kommunikativen unsererseits Regeln führt zu Herabsetzung, Ausschluss, Ächtung. Sowohl im Narrativ, weil eine Frau, die nicht „typisch weiblich“ kommuniziert als unweiblich und unbequem, zickig, bossy und bitchig geframed wird. Aber auch in Hinblick auf Handlungsmacht, und das ist tragisch: Nutzen wir die erlernten Sprachmuster, die gesellschaftlich (noch immer) von uns erwartet werden, wird uns im Gegenzug die Fähigkeit abgesprochen, klar und zielgerichtet zu denken oder uns kraftvoll auszudrücken (16). Dieses Muster wiederholt sich seit Jahrtausenden in der Infantilisierung der Frau, die wir (individuell, kollektiv und gesamtgesellschaftlich) noch lange nicht überwunden haben.

Jedoch erlernen wir Frauen die Unangemessenheit unserer Wut nicht nur durch Erziehung und Sprache. Denn die Geschichte hat uns gelehrt, dass Stillschweigen und Stillhalten der sicherste Weg sind, unser Überleben zu sichern. Und ja, es steckt ein System dahinter.

Female Rage als transgenerationales Trauma, oder: Von der Disziplinierung weiblicher Wut

Als Mitte der 1960er Jahre die Nachkommen von Holocaust-Überlebenden Symptome von Traumatisierungen zeigten, die sie selbst nie erlebt hatten, begannen in den 1970ern ausführliche Untersuchungen zu der Frage, ob und wie Traumatisierungen über Generationen hinweg vererbt werden können.

Gesichert ist, das Traumatisierungen durch Verhalten, Erzählungen, Scham, Schuld oder auch das Vermeiden von Verhalten wie beispielsweise das Zulassen von Nähe weitergegeben werden. (17)

Für Female Rage viel spannender ist aber, dass die Forschung inzwischen noch einen Schritt weiter gegangen ist: Seit 2017 gehen Neurowissenschaftler:innen in der Neuroepigenetik der Frage nach, ob und wie Traumatisierungen sich epigenetisch durch Veränderungen der DNA nachweisen lassen, und tatsächlich hat man herausgefunden, dass sogenannte Methylgruppen sich als Markierungen an DNA anheften, was wiederum bestimmt, ob bestimmte Gene gelesen werden können oder nicht. (17 / 18)

Der Umgang mit weiblicher Wut im Verlauf der Geschichte steckt uns buchstäblich in den Knochen: Mindestens durch die verbale und nonverbale Weitergabe durch unsere Mütter (die das Trauma von ihrer Mutter weitergegeben bekommen haben usw.). Vielleicht sogar durch Veränderungen in der Ablesbarkeit von Genen als biochemische Reaktion auf Stress und Umwelteinflüsse. Dabei ist es egal, wie die Weitergabe (aka „Tradition“) letztendlich stattfindet. Was für uns relevant ist: Ganz tief in uns drin spüren wir, wissen wir, haben wir verinnerlicht, dass es schreckliche Konsequenzen haben kann, wenn wir unserer Wut Ausdruck verleihen und damit selbst Raum beanspruchen, der uns nicht zugestanden werden will.

Gewalt gegen Frauen ist kein neuzeitliches Phänomen. Angefangen in Mesopotamien 2000 v. Chr. über das Kirchenrecht und später Luther, das Bildungsbürgertum bis hin zur mangelhaften Gewaltprävention und -bestrafung in unserer Moderne: Die Züchtigung aufmüpfiger, störrischer, widerspenstiger Frauen wurde und wird propagiert und praktiziert.

Das Bild des „Hausdrachen“ hat sich etabliert. Frauen, die ihren Ehemännern widersprachen, konnten mit sogenannten Schandmasken wieder auf Spur gebracht werden. Bis ins ausgehende 18. Jahrhundert hinein wurden Frauen nicht zuletzt wegen Andersartigkeit als Hexen verfolgt und exekutiert. So wurde weibliche Wut domestiziert.

Nachdem die Verfolgung und Ermordung abweichender Frauen im Zuge der Aufklärung abgeschafft wurde, ging man(n) dazu über, weibliche Wut zu pathologisieren („Hysterie“) und erzielte denselben Effekt: Frauen, die es wagten, von der Norm abzuweichen, wurden ausgesondert, verstümmelt, bestraft – und das bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein. 1868 machte Elisabeth P.W. Packard öffentlich, wie ihr Ehemann sie für drei Jahre ohne Diagnose in die Psychiatrie einweisen lies. (19) Sie war kein Einzelfall. Am Beispiel des Severealls Hospital wird deutlich, wie Frauen für ihr Nicht-Funktionieren im Patriarchat systematisch diszipliniert wurden, durch Elektroschocktherapie und/oder Lobotomie. Das konnte passieren, wenn Frauen unehelich schwanger wurden, Anzeichen für Traumatisierung zeigten, oder sich schlicht ungehorsam zeigten. (20) Beide Fälle stehen beispielhaft für unzählige Frauenschicksale. (21)

Bis in die 1960er Jahre hat Walter Freeman buchstäblich im Vorbeifahren rund 3.500 Menschen lobotomiert, ein Großteil davon Frauen, weil sie unangepasstes Verhalten gezeigt haben (22).

Glücklicherweise ist es heute nicht mehr ganz so einfach, Frauen gegen ihren Willen psychiatrisch einweisen zu lassen. Und Lobotomie wurde abgeschafft. Das heißt aber noch lange nicht, dass unsere Wut nicht mehr durch Institutionen pathologisiert wird. So gelten in Großbritannien Frauen, die gegen ihre Vergewaltiger vor Gericht ziehen, von vornherein als unglaubwürdig, wenn sie vor dem Übergriff an einer PTBS/KPTBS erkrankt waren. (23)

Dass Täter freigesprochen oder Verfahren eingestellt werden, ist dabei nicht auf Großbritannien beschränkt, sondern ist ein globales Phänomen, und ja, das kommt regelmäßig auch in unserer westlichen Kultur vor. Dazu muss man sich nur die Kriminalstatistiken anschauen. In Deutschland werden weniger als 1% der Vergewaltiger verurteilt – dabei schließt dieser Wert die Dunkelziffer der Übergriffe, die (verständlicherweise) nie zur Anzeige gebracht werden, nicht mal mit ein. Vermutlich wird keine von uns je den vielversprechenden Medizinstudenten in Belgien vergessen, der trotz Vergewaltigungsgeständnis mit einer Bewährungsstrafe davon kam, weil die Richter ihm seine Zukunft nicht verbauen wollten. (24) Oh, er will übrigens Gynäkologe werden. Leider kein Scherz.

Aber es sind nicht nur Strafgerichte, an denen Frauen regelmäßig und zu einem viel zu hohen Prozentsatz die Erfahrung machen müssen: Selbst wenn du wütend genug bist, dich zu wehren. Selbst wenn du den Mut und die Kraft aufbringst, um für dich einzustehen: Wir glauben dir nicht. Wir wollen dir nicht glauben. Wir wollen dich nicht sehen. Deine Gegenwehr bleibt ohne Konsequenzen.

An Familiengerichten erleben Mütter tagtäglich, dass sie für den Versuch, sich selbst und ihre Kinder vor dem gewalttätigen Partner zu schützen (gemeint ist hier psychische, körperliche und sexuelle Gewalt, auch gegen die Kinder), dass sie für die Unverschämtheit, aufzubegehren, bestraft werden: Sie verlieren das Sorgerecht für ihre Kinder, die nicht selten im Haushalt des (mutmaßlichen) Täters verbleiben müssen. Argumentiert wird hier mit vermeintlicher Bindungsintoleranz (25), die längst wissenschaftlich widerlegt ist (26) und deren Erfinder Richard Gardner unter dem Verdacht steht, mit seiner Arbeit Pädophile zu schützen.

Von der öffentlichen Diffamierung gewaltbetroffener Frauen, die den Mut haben, sich im öffentlichen Raum über mächtige, prominente Männer zu äußern, möchte ich gar nicht erst anfangen.

Gegenwehr gegen Gewalt bleibt ohne Konsequenzen. Oder sie wird bestraft. Rechtlich. Gerichtlich. Gesellschaftlich. Institutioneller Raum ist nicht neutral. Er formt Macht, Identität, Geschlechterverhältnisse. Und er verweist uns bis heute auf den Platz, den das Patriarchat uns zuspricht.

Zwar hat die Form der (institutionellen) gesellschaftlich tolerierten Gewalt gegen uns Frauen sich über die Jahrhunderte hinweg gewandelt. Ihr Zweck indes blieb durchgehend gleich: Die Disziplinierung von Frauen und ihrer weiblichen Wut. Durch jede Epoche hinweg haben wir verinnerlicht (und tun es durch die Gerichte noch heute): Es ist besser für dich, wenn du schweigst. Es ist besser für dich, wenn du still bist. Es ist besser für dich, wenn du darüber hinweg siehst. So schlimm war es ja gar nicht. Er ist halt ein Mann, das liegt in seiner Natur. Und in deiner Natur liegt, dass du viel zu sensibel bist. Du regst dich viel zu sehr auf. PMS und so. Und eigentlich warst du ja immer schon ein bisschen hysterisch, oder nicht?

Nicht die Akte von Gewalt, allen voran institutioneller Gewalt, gegen Frauen sind die Einzelfälle, sondern die Erfolgsgeschichten wie die von Gisèle Pelicot. Das ist gleichermaßen ermutigend wie schmerzhaft.

Warum tut man uns das an?

Sobald man sich etwas eingehender mit der strukturellen Gewalt auseinandersetzt, die den Kitt für das patriarchale System bildet (und unter der übrigens nicht nur Frauen bzw. FLINTAs leiden), drängt sich einem genau diese Frage auf: Warum tut man uns das an? Es ist ja nicht so, dass alle Männer von Natur aus durchtrieben, hinterlistig und böse sind. Natürlich gibt es unter ihnen auch von Grund auf schlechte Menschen. Aber den meisten, den allermeisten unterstelle ich eine Art unreflektierte Bequemlichkeit. Opportunismus. Männer sind die Profiteure des Patriarchats. Sie fühlen sich sicher. Sie sind die, die die Regeln vorgeben. Ihre größte Angst beim ersten Date ist, dass die Frau sich über sie lustig macht. Unsere größte Angst bei einem ersten Date ist, irgendwann von diesem Mann uns gegenüber getötet zu werden. Für Männer besteht schlicht keine Urgency, irgendwas an diesem für sie ganz wunderbar funktionierenden System zu verändern. Das ist übrigens auch wichtig für das Worldbuilding unserer Female Rage Geschichten: Wenn wir Männer einfach nur als bösartig zeichnen, laufen wir Gefahr, die Realität zu karikieren. Selbst unwichtige Nebenfiguren würden so Projektionsflächen für „Ach, jetzt übertreibt sie aber“. Mehrdimensionalität und durchdachtes Charakterdesign sind hier die Mittel der Wahl.

Oben genanntes gilt meiner Meinung nach nicht für rechtskonservative und rechtsradikale Faschisten. Gern würde ich den Anhängern rechten Gedankenguts (und rechter Parteien) einfach fehlende Bildung unterstellen. Traurigerweise durchzieht diese Denkweise auch das Bildungsbürgertum bis hinauf in hohe Regierungsämter. Und nicht immer wird sie durch drei Buchstaben gelabelt, die mit A anfangen und mit D aufhören. Männer, die rechtsradikal oder rechtskonservativ denken und sprechen und wählen, tun dies bewusst und aus Kalkül. Frauenhass ist für sie kein Add-on, dessen sie sich selbst nicht bewusst sind, sondern ein willentlich genutztes Werkzeug, dass uns unserer hart erkämpften Rechte wieder berauben soll.

Die wenigen Männer, die sich an unsere Seite stellen und für uns, unsere Sicherheit, unsere Rechte das Wort erheben, tun das wohl vorrangig aus Empathie und Mitgefühl – dankenswerterweise.

Also: Männer profitieren von einem System, in dem sie Frauen, FLINTAs, Minderheiten systematisch unterdrücken (bewusst oder unbewusst), indem sie uns infantilisieren, objektifizieren, pathologisieren, dämonisieren, maternalisieren, passivisieren und unsere minderjährigen Töchter adultifizieren. Und das klingt jetzt ein bisschen schwurblerisch so, als würde da irgendwo eine geheime Elite sitzen, die die Fäden in der Hand hält und Anweisungen gibt, was wo wie als nächstes zu tun ist, damit wir nicht vergessen, wo unser Platz ist. Leider ist das nicht ganz so einfach. Dieses System, das Patriarchat, ist Jahrtausende alt, und es ist aus einem Prozess heraus entstanden, auch wenn ich mir nicht erklären kann, warum es sich so erfolgreich durchgesetzt hat – und nein, das liegt nicht an der natürlichen Ordnung, sondern eher daran, dass die gewaltsame Unterdrückung wie weiter oben beschrieben so unglaublich effektiv war.

Wenn ich sage oder schreibe „sie halten uns klein“, dann meine ich das wörtlich. Diese ganze -isierung, alles das, was man uns aufzwingt, wo man uns hineinzwingt, führt dazu, dass wir keinen Raum einnehmen.

Ich wiederhole das nochmal, weil das so wichtig ist: Über die Jahrtausende und aufgrund der sich dem Wandel der Zeit anpassenden Mittel und Methoden zur Oppression von Frauen haben wir gelernt, keinen Raum mehr einzunehmen.

Und das, obwohl wir mit der Hälfte der Weltbevölkerung faktisch und rein physisch sehr wohl Raum einnehmen.

Auf eine schmerzhaft ekelerregende Weise ist das zugegebenermaßen ganz schön beeindruckend.

Dabei geht es nicht darum, dass der individuelle Mann ein bequemes Leben hat, weil er mit seiner Partnerin eine Sklavin, Hausangestellte, Köchin, Nanny, Hure, Waschfrau, Haushälterin, Dukatenesel und Mami in Personalunion in seinem Zuhause haben kann. Ziel ist es, Frauen kollektiv von der Macht auszuschließen. (10)

Female Rage: Die weibliche Macht ein System zu verändern

Das alles ist ganz schön frustrierend. Wenn man sich bewusst macht, wie lange das schon so geht, wie viel Leid und Ungerechtigkeit dahinter steckt, wie viele Menschen betroffen sind, und dass das System trotzdem so weiterläuft … Ja, also ich hab mich da erstmal ganz schön hilf- und mutlos gefühlt.

Und dann habe ich mich an eine Vorlesung zur Frühen Neuzeit erinnert, das Thema war die Französische Revolution. Am 05. und 06. Oktober 1789 waren zwischen 8.000 und 10.000 Parisierinnen nach Versailles marschiert (eskortiert von etwa 20.000 Nationalgardisten), um die königliche Familie und die Nationalversammlung nach Paris, das Zentrum des Volkswillens, zurück zu holen. (27) Wundert es uns, dass Männer wie Schiller diese von Wut angetriebenen Frauen später als „Frauen, die zu Hyänen wurden“ bezeichnete? Nicht im geringsten. Diese Frauen haben die Teilnahme am öffentlichen Leben nicht nur gefordert. Sie haben sie ausgeübt. Erfolgreich reclaimed. (27) Und mit ihrer Female Rage buchstäblich die Welt verändert, nicht nur in Frankreich. Und auch, wenn die Diskussion um die Rolle der Frau schon im 14. Jahrhundert erstaunliche Ausmaße annahm, ein selbstverständlich männlicher Diskurs, an dem sich Frauen wie Christine de Pizan beteiligten, ebnete die Französische Revolution den Weg für Vordenker:innen und Frauenrechtlerinnen, die laut und entschlossen in ihren politischen Salons Schutz von Frauen vor Gewalt, gleiche Rechte bei der Scheidung, Teilhabe an politischen Entscheidungen und Gleichberechtigung von Männern und Frauen, da „Menschenrechte“ auch für Frauen gelten mussten. (27)

Das Frauenwahlrecht wurde in Deutschland 1918 eingeführt. Bis dahin war es ein langer Weg, aber Female Rage kann auch hier wieder als treibende Kraft genannt werden, die die Frauen durchhalten und auf ihre natürlichen Rechte pochen ließ. Female Rage ist ein Motor, ein Antrieb, der innere Drang, dieses System zu verändern. Und es funktioniert, wenn auch sehr langsam. Die Forderung, dass Carearbeit als Arbeit anerkannt werden soll, kam bereits Ende der 1960er Jahre im Zuge der sogenannten Frauengruppen auf. „Das Private ist Politisch“ ist noch immer ein Schlachtruf in der feministischen Bubble. Ebenfalls seit Ende der 1960er kämpfen wir um die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, die zwar nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden, aber noch immer Straftatbestand sind. (27)

Aber lohnt sich das wütend werden überhaupt, wenn sich die Erfolge nur mäßig und überaus zäh einstellen? Auf jeden Fall! Es waren wütende Frauen, Politikerinnen, die sich dafür gesorgt haben, dass Vergewaltigung in der Ehe seit 1998 als Straftatbestand gilt. Und das hat nur ungefähr fünfzehn Jahre gedauert. Und es waren wütende Frauen, die öffentlich über die Taten mächtiger Männer gesprochen haben und damit die Metoo-Bewegung ins Leben gerufen. Durch Metoo wurde sichtbar gemacht und kritisiert, was für viel zu viele Frauen bis dahin selbstverständliche Realität war: Gewalt gegen Frauen, auch sexualisierte Gewalt, ist omnipräsent, strukturell und wird – in der Regel – institutionell geschützt. Verurteilte Sexualstraftäter werden nicht geächtet, sondern können Präsident der USA werden. Notorische Frauenschläger werden nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt als der Abschaum, der sie sind, sondern werden vollständig rehabilitiert und von jubelnden Fans noch belohnt.

Aber Metoo hat eben auch eine Debatte aufgemacht, die dafür gesorgt hat, dass Frauen durch Ergänzungen im Gesetz wie „Nur Ja heißt Ja“ besser vor sexueller Gewalt und sexueller Ausbeutung geschützt werden. In Spanien gibt es längst Fußfesseln für gewalttätige, stalkende Ex-Partner. Und immer selbstverständlicher wird von den Medien gefordert, Femizide nicht mehr als Beziehungsdramen zu verharmlosen, sondern deutlich als das zu benennen, was sie sind: Morde an Frauen, weil Männer Besitzansprüche haben und einfach alles tun, außer in Therapie zu gehen. Und ja, ich habe tatsächlich schon Stellungnahmen großer Zeitungen gelesen, die sich für das falsche Narrativ entschuldigt haben.

Female Rage hält uns auf dem Weg und verschafft uns das nötige Durchhaltevermögen. Weil dieser Weg in diesem auf männliche Bedürfnisse ausgerichteten System einfach so verdammt steinig und verdammt lang ist.

Aber egal, wie steinig und lang, wahr bleibt: Female Rage ist die weibliche Macht, ein System zu verändern. Das haben wir mehr als ein Mal bewiesen. Wir dürfen es nur nicht wieder vergessen.

Reclaiming Female Rage

Stimmen behaupten, und darunter überraschend viele weibliche Stimmen, wir bräuchten keinen Feminismus mehr. Frauen seien längst gleichberechtigt und überhaupt würde der Feminismus alles kaputt machen. Früher war alles besser.

Dass wir Frauen nicht mal dem Gesetz nach wirklich gleichberechtigt sind, geschweige denn in der alltäglichen Lebenswelt, sieht man deutlich am §218. Es gibt kein Gesetzt (übrigens weltweit nicht), dass die Autonomie über den männlichen Körper einschränkt. Mit der Strafbarkeit von Abtreibungen, die aufgrund eines Zusatzes lediglich nicht mehr verfolgt wird, wird uns Frauen (und auch Männern mit Gebärmüttern) die Autonomie über unseren Körper abgesprochen. Von dem Spießrutenlauf, den frau durchmachen muss, wenn sie eine Abtreibung wünscht, will ich hier gar nicht erst anfangen. Dabei geht es nicht den Schutz von Leben – sonst würde man Kinder nicht in die Obhut gewalttätiger Väter zwingen. Es geht um Kontrolle. Und um Macht. Juristisch, aber eben auch in besagter Lebensrealität. Catcalling („darf man jetzt nicht mal mehr Komplimente machen?“), Mansplaining („danke, Horst, dass du mir erklärst, wie ich schmerzfrei durch die Geburt komme“), Manspreading („nein, Jürgen, deine Eier sind nicht so dick, dass du in der U-Bahn eineinhalb Sitze vereinnahmen musst, damit deine Schenkel sich nicht berühren“) halten den Raum, den wir in der Öffentlichkeit einnehmen, ein. Medicinal Gender Bias (Studien zu Medikamenten ausschließlich an Männern ausgerichtet) gefährdet täglich unser Leben. Erst 2025 wurden erste weibliche Crashtestdummies eingeführt. Frauen sind häufiger von Altersarmut betroffen. Der Gender-Pay-Gap zeigt, wie selbstverständlich Frauen weniger Gehalt für die gleiche Arbeit erhalten. Fast jeden Tag wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet, weil sie ihn verlassen hat oder verlassen will. Und wenn er dann Eifersucht als Motiv anführt, wirkt sich das strafmildernd aus. Kleine Mädchen werden gezwungen, Umgang mit einem Vater zu haben, der verurteilter pädophiler Sexualstraftäter ist, obwohl sie das nicht möchten, weil er sie „da unten leckt“.

Und ja, ein verurteilter Sexualstraftäter ist der mächtigste Mann der Welt. Nicht, dass die anderen eine weiße Weste gehabt hätten. Aber da wussten die Wählenden das wenigstens nicht. Oder konnten sich einreden, es nicht zu wissen.

Gewalt gegen Frauen in all ihren Facetten gehört zur Lebensrealität von Frauen dazu. Ebenso wie Täterschutz, Victim Blaming, Ächtung der Betroffenen und die lebensverändernden Folgen. Denn danach ist nichts mehr, wie es war.

So lange wir in einer Welt leben, in der all das ganz selbstverständlich ist, brauchen wir Feminismus. Und wir brauchen Female Rage, weil wir nur so die Kraft haben, am Ball zu bleiben. Durchzuhalten. Laut zu sein. Zu fordern. Bis sich unsere Lebensrealität verändert. Stück für Stück, in kleinen Schritten. Aber sie wird sich verändern.

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